Für den perfekten Tag X braucht es die richtigen Verhältnisse, viel Erfahrung und gute Entscheidungen (c) Thomas Gaisbacher Für den perfekten Tag X braucht es die richtigen Verhältnisse, viel Erfahrung und gute Entscheidungen (c) Thomas Gaisbacher
21 November 2025

Ist steil geil?

Einführung ins Thema Steilwandskifahren

Steilwandskifahren ist ein Thema, das im Skialpinismus eher eine Randerscheinung ist, dennoch aber viele Menschen begeistert. Warum das so ist, werden wir versuchen zu beantworten. Zunächst versuchen wir, das Thema inhaltlich zu erfassen, im zweiten Teil schauen wir uns das Thema aus dem Blickwinkel des Materials an und im dritten Teil gibt es ein Interview mit dem Osttiroler Steilwandskifahrer Thomas Gaisbacher.

Teil I Einführung ins Thema

Definition (oder zumindest eine Annäherung)

Steilwandskifahren ist bekanntlich keine Erfindung der Neuzeit. Klingende Namen wie Heini Holzer, Anselme Baud oder die Pallavicini-Erstbefahrer Oberegger und Thausing haben diese Skidisziplin bereits vor Jahrzehnten geprägt. 2016 wurde dieser Sportart aber medial wieder mehr Aufmerksamkeit geschenkt, als der sehr sehenswerte Film „La Liste“ (https://www.redbull.com/be-fr/films/la-liste ) erschien. Mittlerweile gibt es auch eine Fortsetzung mit „La Liste: Everything or Nothing“ (Link https://www.redbull.com/at-de/films/la-liste-2). Die Protagonisten Jérémie Heitz und Sam Anthamatten geben ihr Können in unglaublicher Umgebung zum Besten. Neben dem Begriff Steilwandskifahren geistern auch noch Ski extrême, Skialpinismus oder extreme skiing im Sprachfundus umher.

Was aber genau ist damit gemeint? Ab welchem Steilheitsgrad endet Skitourengehen und wann beginnt Steilwandskifahren? Diese Frage lässt sich kaum und vor allem nicht eindeutig beantworten. Vielfach wird der magische Winkel von 45 Grad genannt, ab dem man von Steilwandskifahren spricht. Aber entspricht das auch der Realität? Wer bei schlechten Verhältnissen, sprich vereister Rinne oder ständig wechselnden Verhältnissen im Bruchharsch eine Flanke mit „nur“ 40 Grad erleben durfte, weiß, was damit gemeint ist. Die Steilheit ist nur ein Faktor, der die Schwierigkeit einer Skitour bestimmt.

Video gute Verhältnisse in der Selenitza Ostrinne (4.1,E3)

Als begeisterter Tourenautor und Führerschreiberling weiß man, wie schwierig die Bewertung von Skitouren, aber auch Klettertouren ist. Am Ende des Tages kommt immer jemand, der sich über die Schwierigkeit, den globalen Anspruch oder andere subjektive Einschätzungen beschwert. Und gerade die Themen Skitouren und Steilwandfahren sind so extrem von Gesamtschneemenge und aktuellen Verhältnissen abhängig, wie es sonst nur noch das Eisklettern ist. Stichwort „Eisaufbau“ und „ausgepickelt“.

Video von guten zu sehr schlechten Verhältnissen (4.2, E3)

Objektiv können bei Touren die Hangausrichtung (Exposition) und Höhenmeter angegeben werden, annähernd objektiv die steilste Stelle bzw. die durchschnittliche Steilheit. Diese beiden können wiederum stark variieren, je nach Schneemenge des aktuellen Jahres und auch der Hauptwindrichtung des Winters. Bei viel Schnee und günstiger Windrichtung können tief eingeschnittene Rinnen prall gefüllt sein, in denen man in den anderen Jahren abseilen muss, weil man sie gar nicht fahren kann. Zu den allgemeinen Bedingungen des Winters kommen am Tag X auch noch aktuelle Verhältnisse und Wetter hinzu. „Wie war die Nacht? Hoffentlich kalt genug…“ Wie oft ist mir dieser Satz schon durch den Kopf gegangen. Dann kommt man zur Rinne und alles ist schon abgegangen. Offensichtlich nicht kalt genug! Pulverschnee versus technischer Schnee können den Tag von Traum zu Alptraum werden lassen.

Video zu „richtiger Zeitpunkt“, die Flanke firnt auf (4.1, E3)

Neben Ausrichtung, Höhenmetern und Steilheit gibt es noch einen wichtigen Faktor, nämlich das objektive Risiko, das vor allem durch das Gelände definiert wird. Es gibt anhand des Geländes die Ernsthaftigkeit bzw. das Risiko wider, dessen man sich aussetzt. Dieses wird in vielen Führern - Achtung: Verwechslungsgefahr - auch unter dem Steckbriefpunkt „Exposition/Exposure/Ausgesetzheit“ (E1-E4) geführt. Vielfach wird diesem Wert zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet, denn die Leute orientieren sich zumeist am Steckbriefpunkt „Schwierigkeit“. Die E-Skala wird in Verbindung mit der „Volo-Skala“, benannt nach dem französischstämmigen Extremskifahrer Volodia Shahshahani, als Ergänzung geführt und macht dementsprechend Sinn. Kleiner subjektiver Nebensatz: Man munkelt, dass bei 4.1 auf der Volo-Skala das Steilwandskifahren beginnt… Einen eigenen Artikel zum Thema „Schwierigkeit von Skitouren-Schwierigkeitsgraden“ haben wir schon 2023 hier veröffentlicht. (https://www.bergsteigen.com/news/neuigkeiten/schwierigkeit-von-skitouren-schwierigkeitsgrade/)

Ein wichtiger Punkt in Sachen Planung ist auch der Faktor Bekanntheit der Gebirgsregion, in der ich meine Tour gehen möchte. Wenn ich nicht ein „Local“ bin, der mit den lokalen Wetterphänomenen und dem aktuellen Schneedeckenaufbau der Saison vertraut ist, muss ich es defensiver angehen und im Idealfall auch Infos einholen. Ganz den didaktischen Prinzipien folgend „vom Leichten zum Schweren, vom Bekannten zum Unbekannten“ ist es ratsam, bei einem neuen Gebietsführer, den man sich gekauft hat, nicht auf gleichem Niveau wie bei den bekannten heimischen Touren zu starten, sondern sich erst heranzutasten.

Abschließend lässt sich festhalten, dass Steilwandfahren die Königsdisziplin des Skitourengehens ist. Gute Tourenplanung, sichere Verhältnisse, viel Erfahrung und das „nötige Gespür“ sind Voraussetzungen dafür, dass man einen schönen Tag erlebt und sicher wieder nach Hause kommt. Es geht kaum bzw. gar nicht um Skitrophäen, die manch Eine(r) fürs Ego zu sammeln versucht, sondern um lässige Tage im Schnee. Und wie beim Klettern gibt es Touren mit niedrigeren und höheren Schwierigkeitsgraden, nur mit dem Unterschied, dass beim Steilwandskifahren die Schwierigkeiten durch aktuelle Verhältnisse massiv variieren können.

Im nächsten Teil geht es um das Thema „Steilwandfahren und Material“.



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