Rudolf Hauser und Tobi Ebner am 29.12.2024
Die Zeit, die ist ein sonderbares Ding. Wenn man so hinlebt, ist sie rein gar nichts.
Aber dann auf einmal, da spürt man nichts als sie; sie ist um uns herum, sie ist auch in uns drinnen. Jenseits der Uhren, die uns ein objektives Zeitmaß vorgaukeln, erleben wir die Zeit ganz anders. In der Langeweile, bei der Hingabe, bei den Sorgen, beim Blick auf das Ende, streng gegliedert in der Musik und lose gefüllt beim Spiel. Es ist das Spannungsfeld zwischen Vergehen und Beharren und ermuntert uns, aufmerksam mit diesem wertvollen Gut umzugehen. Rüdiger Safranski
Es ist die Zeit im Jahr, bei der ich bei jeder Autofahrt mein Gesicht gegen die Scheibe drücke, um den besten Blick auf die heimatlichen Berge zu bekommen. Nahezu überall sehe ich das Potenzial etwas Neues zu gestalten. Dafür liebe ich den Bergsport am meisten. Die unerschöpflichen Möglichkeiten sich kreativ mit Mutter Natur auseinanderzusetzen.
Man sieht sie von der Autobahn aus, wenn man vom Süden kommend nach Salzburg fährt, die Ostwand des Untersbergs mit ihrer Doppler- und Rosittenwand. Letztere hat ein großes steiles Schneefeld darüber und versorgt die darunterliegenden steilen Wandteile mit Wasser. Eine markante Rinne zeichnet die logische Linie wie der Pinselstrich eines Landschaftsmalers durch die Wand, die von Salzburg aus so gut sichtbar ist.
Die Inversionswetterlage der letzten Wochen und die günstige Schneelage formte ein feines Geflecht aus Eis und Schnee mit einer steilen Unterbrechung im Felsen aus.
Wir treffen uns um 8.30 bei der Talstation der Untersbergbahn. Um 9 Uhr geht die Erste Gondel rauf und um 16 Uhr die Letzte runter. Es ist also diese Zeitspanne, die uns für dieses Projekt noch zusätzlich antreibt, wenn wir nicht im Dunkeln den Abstieg bewältigen wollen. Grundsätzlich stehen aber der Stil und das Erlebnis im Fokus, egal wie lange es dauern wird.
Von der Bergstation geht man über den bekannten und ausgesetzten Dopplersteig runter zum Wandfuß der Dopplerwand und quert anschließend über steile Hänge nach Süden zu den bereits gut sichtbaren Eislinien an der Rosittenwand.
Die Zeit im Nacken starten wir sofort mit der Kletterei. Senkrechtes, röhriges Eis mit Schneeeinschlüssen lässt schon auf den ersten Metern erahnen, dass Zwischensicherungen eher nur den Kletterfluss unterbrechen. Nach 50m halte ich Ausschau nach einer Standplatzmöglichkeit. Unterhalb des freihängenden Zapfens ist ein feiner Querriss, der sich für Schlaghaken anbietet. Noch zwei, drei delikate Kletterzüge auf Glasuren und Styroporeis und ich erreiche die positiven Strukturen im Fels. Ein Messer- und ein Profilhaken singen sich den Weg in die Fuge. Perfekt. Nachkommen.
Während Tobi nachsteigt, wandern meine Blicke durch die Felswand. Feine Rissspuren und eine Schuppe unterhalb des Zapfens lassen die Möglichkeit erahnen, hier unsere Linie durch zulegen.
Die Absicherung erweist sich als sehr komplex. Ich entschließe mich den Fels zuerst technisch zu begehen und die Sicherungen am Eisgerät hängend zu montieren.
Am letzten Hängepunkt kann ich das herabhängende Eis schon fast erreichen. Ein paar Züge an Glasuren und dann kann man auf den ca. 4 m langen filigranen Zapfen aussteigen. Tobi lässt mich zum Stand hinab und ich ziehe das Seil ab. Wieder eingebunden, steige ich sofort los. Es ist gerade so viel Struktur vorhanden, dass ein freies Klettern möglich macht. Ich spüre eine leichte Anspannung, hier gleich aufs Erste abliefern zu müssen. Es ist doch steiler als gedacht. Am letzten Sicherungspunkt angekommen, heißt es nun beherzt einen Runout in Kauf zu nehmen, um das rettende Eis darüber zu erreichen.
Super Kletterei. Ausgesetzt mit Blick auf die Landeshauptstadt. Die Menschen in der Gondel die über uns hinweggleiten, werfen uns ein paar skeptische Blicke zu.
Noch ein steiler Aufschwung im Styroporeis und ich erreiche eine kompaktere Eisstelle, wo ich sogleich einen Stand mit Schrauben aufbaue. Tobi übernimmt die darauffolgende Eislänge, die uns zum großen Schneefeld führt. Es liegt doch mehr Schnee als gedacht. Das Spuren und die Eisaufschwünge zehren an der Ausdauer. Die Headwall stellt sich auf. Die Schwachstelle, eine Rampe zieht leicht nach Süden, die Kübelrinne, eine Sommertour mit einigen Bohrhaken. Wir bleiben auf dieser Linie für eine Seillänge bevor wir dann weiter rechts über Glasuren und punktuellen Eiszapfen direkt an der Bergstation aussteigen. Ich nehme noch das Seil auf, während Tobi im Sprint durch den knietiefen Schnee zum Kartenverkauf hetzt. 15.58 checken wir ein. Mit einem fetten Grinsen im Gesicht gleiten wir ins Tal.
Mal vergeht sie wie im Flug, mal zieht sie sich zäh wie Honig, die Zeit.
Glücklicherweise bleibt uns das Erlebnis erhalten und lässt sich zeitunabhängig immer wieder ins Gedächtnis rufen.
Infos zur Route: TIME - M7, WI 5, 50° 300m - Untersberg bei Salzburg, Rosittenwand
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